Im Sommer 2009 bin ich von Espasingen am Bodensee (Obersee) nach Hause geradelt. Zu Hause ist Hamburg. Als Frau allein mit dem Radel, Zelt und Gepäck einmal längst durch das Land. Es hat 1673 Fahrradkilometer gedauert, plus ca 10km durch den Donaubruch mit dem Schiff, plus ca 70km Bahn zwischen Guntzenhausen und Rotenburg o.d.Tauber (70km Maisfelder gegen den Wind finde ich nicht so spannend). Es waren 3 Wochen und 2 Tage im Fahrradsattel.
Natürlich wäre das Land viel kürzer auf direktem Wege. Ich habe ein paar Extraschleifen gedreht, weil es so schön war. Bayern z.B. ist ein super Fahrradland: tolle Fernradwege und Biergärten, nahrhaftes Essen. Eine unschlagbare Kombination.
Unterwegs sprechen mich auf den Radeltouren gelegentlich mal Leute an, wo ich herkomme, wo ich hin will, ob das wirklich Spaß macht. Solche Sachen halt. Die Kurzantwort auf der Deutschlandtour war: ich fahre vom Bodensee nach Haus, zu Haus ist Hamburg. Ich mache das, weil es Spaß macht, mich zwingt keiner dazu.
Manche Menschen finden es irgendwie toll, manche Menschen finden es irgendwie bekloppt, dass da jemand mit dem Fahrrad unterwegs ist. Für ein paar ist es schlicht nicht vorstellbar, ganz egal, ob ich das nun gerade tue oder nicht. Ihre Antwort: das geht nicht. Oder sie antworten, wenn ich mal nach dem Weg frage: „nein, da können sie nicht mit dem Fahrrad hinfahren, das ist viel zu weit weg. 10km oder so“. Es ist alles eine Frage der Perspektive.
Interessant war auf der Deutschlandtour eigentlich, dass es bis Fulda gedauert hat, bis ich von so einem Frager endlich mal eine Antwort bekam, die mich ahnen lies: ah, da ist jetzt eine Person, die mir das wirklich glaubt und zutraut, die das ernst nimmt. Seine Antwort war: „klasse, weiterhin viel Spaß.“ Vor Fulda gab es immer nur Kopfschütteln, skeptische Blicke, „zu weit“ Kommentare, Vogelzeigen oder ausgedrückte Zweifel.
Nach Fulda fanden die Leute es toll, haben mir gratuliert, mir weiterhin gute Reise gewünscht, sie hatten heitere Gesichter dabei.
Fulda scheint so eine Art Glaubwürdigkeitsgrenze zu sein.
Bis auf einmal.
Das war schon in Niedersachsen, norddeutsche Tiefebene, irgendwo zwischen dem Steinhuder Meer und Ehlershausen, 35 Grad, ein heißer sonniger Tag, mitten im Sommer. Ich war auf der Suche nach einer schattigen Picknickbank, die einzige, die es gegeben hätte, hatte ein Zeckenalarmschild darüber hängen. Also ein paar km später dann Picknick in der Sonne – Hunger ist nicht schön auf einer Radreise. Plötzlich tauchte da aus dem Nichts ein alter Mann auf einem alten klapprigen Fahrrad auf. Kam so langsam angeschuckelt, guckte sich die Lage an (Gepäckrad, Fahrradfahrerin auf Bank mit Picknick), hielt an, bugsierte sich vom Rad. In einer etwas länglichen Prozedur gelang es ihm, sein Rad abzustellen. Er war sicherlich nicht mehr der fitteste und schnellste. Unter Geächze setzte er sich auch auf die Bank.
„Tach.“
„Hallo.“
[Pause]
Was machen sie hier?“
„Picknick“
„Warum?“
„Ich bin auf einer Fahrradtour“
[Pause]
„Allein?“
„Ja.“
„Haben sie keine Angst?“
„Nein.“
[Pause]
„So als Frau allein?“
„Nein.“
„Wirklich nicht?“
„Nein, warum?“
„Sollten sie aber.“
„Warum? Wollen sie mir jetzt was tun?“
„Nein.“
„Na also.“
[lange Pause.]
„Wo wollen sie denn hin?“
„Nach Hamburg. Aber nicht mehr Heute.“
„Das ist viel zu weit. Und leichtsinnig. Das können sie unmöglich schaffen. Da kann man nicht mit dem Fahrrad hinfahren! Das ist viel zu weit. Sie fordern das Risiko heraus! Das tut man nicht!“
Er regt sich richtig auf, laute Stimme, warnender und besorgter Ton, hastige Atmung. Sein aufgeregter Ausbruch kam sehr plötzlich und schien gar nicht mehr aufzuhören. Ich machte mir etwas Gedanken um sein Herz-Kreislauf-System und dass er mir hoffentlich nicht gleich zusammenklappt.
Meine Gedanken waren: na, wenn der sich jetzt schon so aufregt wo ich hin will, hoffentlich fragt er mich nicht, wo ich herkomme. Dann bricht er zusammen. Ganz bestimmt.
Das hat er zum Glück nicht mehr gefragt. Meine ganzen Argumente, dass ich das sicherlich schaffen würde, tat er ab und wiederholte dann seine Zu-Weit-Argumentation wie eine kaputte Schallplatte.
Ich fuhr weiter. Im nächsten Ort gab es wunderbare Blaubeeren.
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